1Schaffensrückblick

Zeichnen was im tiefsten Inneren vorstellbar ist
Bauen aber nur das Verantwortbare

Als 13 Jähriger war mein grösster Wunsch, das beste Reisszeug der Marke Wild, ein RZ 40 mein Eigen nennen zu dürfen. Dieses Werkzeug war für Geometer, Wissenschafter und Spezialzeichner konzipiert. Später kamen Geometerwerkzeuge, Proportionalzirkel, Schraffurmaschinen und verzugsfreie Lineale aus Kristall dazu. Wie ein Kind, das die beste Konzertgeige will, wollte ich mit diesem Meisterstück Schweizer Präzisionsmechanik die Architektur erobern, obwohl ich kaum mehr als einen geraden Strich zeichnen konnte.

Jahre später, nach der Ausbildung an der ETH und Berufspraxis in verschiedenen Architekturbüros durfte ich in einem der besten Ateliers die Welt der Druckgrafik kennen und ausüben lernen. Nach einem weiteren Umweg über die Lehrtätigkeit an Architekturschulen in den USA, Grossbritannien und Italien führte meine berufliche Laufbahn zurück in die Schweiz, wo ich zunächst in Partnerschaft, dann als Alleininhaber ein Architekturbüro betrieb. Alle drei Karrieren, ob als Künstler, Lehrer oder
Architekt schienen zu dieser Zeit erstrebenswert und erfolgversprechend zu sein. Aber ich habe mich hauptberuflich für die Architektur entschieden, um mich sozusagen der realen Berufswelt zu stellen.
Noch bis in die frühe Moderne konnten bedeutende Architekten zugleich erfolgreiche Maler, Bildhauer und Lehrmeister sein, im Falle von Le Corbusier sogar Schriftsteller. Ein Schaffen im Spannungsfeld von sich gegenseitig befruchtender Kunstsparten ist mir leider nur ansatzweise gelungen. Dem heute von Unternehmertum, Politik und Gebrauchsdenken geprägten Architekturbetrieb ist das Künstlerische suspekt, den „reinen“ Künstlern die Zweckgebundenheit der angewandten  Künste und der Architektur.

Erst heute wird mir bewusst, wie sehr mein Denken als Architekt, Künstler und Lehrer durch die Ausdrucksmöglichkeiten von Drucken und Zeichnungen bestimmt wurde. Deshalb habe ich ihnen in dieser Zusammenstellungeinen vorrangigen Platz eingeräumt, ganz im Bewusstsein dass dabei viele vielleicht noch wichtigere Entwurfsparameter nicht gebührend berücksichtigt sind.
Für mich bleibt die Beschäftigung mit dem Wesen bildhafter Darstellungen ein Leitthema. Die Ablösung und Verselbständigung der Bildstruktur vom Bildträgerund die Auflösung des Bildes in einem virtuellen Datenhaufen hat sich in denletzten Jahrzehnten auch in der Architektur vollzogen. Vielleicht war es gerade diese Vorahnung, die mich als ausgebildeten Architekten bewogen hat, mich mit den Urformen der architektonischen Darstellung zu befassen. Höhlenmalereien, ägyptische Steinreliefs, Inschriften, Fresken, Holzschnitte und Kupferstiche, aber auch Zeichnungen auf allen möglichen Unterlagen haben zwei Dinge gemeinsam: einen Bildträger, der die Bildstruktur mit prägt, ja sogar integraler Teil des Bildes ist, und die Handwerklichkeit des Entstehungsprozesses ist, die vom Wesen und Können des Schöpfers ausgeht. Die neue Generation hat die Hoheit über Bilder dem verantwortungslosen digitalen Raum überlassen.

Heute wissen wir, dass die Bautätigkeit mitverantwortlich ist für die drastische Verschlechterung der Lebensbedingungenauf unserem Planeten und die dramatische Verdrängung von Natur und Lebensräumen. Diese in meiner Schaffenszeit als Architekt über die Jahre zunehmend ins Bewusstsein eindringende Hiobsbotschaft, die sich beschleunigenden Indizien dafür, das Nahen eines „point of no return“ und vorallem, die Erkenntnis, dass der bisher vielgelobte Fortschrittsglaube und die „Gute Form“ nicht mehr weiter helfen, haben gegen Ende meiner architektonischen Praxis die Bedeutung architektonischer Darstellung in ein neues Licht gerückt, weg von der spontanen handschriftlichen Signatur hin zu anschaulichen Imaginationen von nachhaltigen Konzepten für das Bauen in derZukunft.

Dieser Schaffensrückblick erlaubt mir kritisch auf mein Werkzurückzublicken. Die Werklisten unterscheiden zwischen „Architektur“, also Projekten meines Büros, und „Studien/Kunst“, also aus meinem Inneren heraus entwickelte und mit künstlerischen Darstellungsmitteln festgehaltene Studien und Werke. Diese umfassen einerseits Zeichnungen und Skizzenbücher, andererseits gedruckteDarstellungen. Die gedruckten Werke können wiederum in drei Kategorienaufgeteilt werden: In meiner frühen Karriere pflegte ich die klassische Druckgrafik fast meist in Aquatinta oder Stichtechnik auf Kupferplatten. Viel später, die Architekturpraxis begleitend, versuchte ich, mittels zeitgemässer digitaler Technik phantastische Quasi-Architekturen darzustellen, und dabei Utopie, Historie und Wirklichkeit zu vermengen, wie bei Piranesi. Jüngst und gefördert durch den Biennale Beitrag nutzte ich diese Erfahrung, um konkrete zeitkritische architektonische Konzepte, manchmal ergänzt durch abstrakte Modelle, bildhaft so darzustellen, dass eine gebaute Wirklichkeit bewusst vorgetäuscht wird. Die Kupferplatten wurden auf den Pressen des Ateliers von St.-Prex auf Papier gebracht. Die „digitalen“ Werke bestehen aus Jpeg-Dateien und sind als hochwertige Vorabzüge in Mappen abgelegt, müssten aber für Archiv- und Ausstellungszwecke noch als Kunstdrucke auf Spezialpapier gedruckt werden.