jugendliche Imagination
die Signatur in der Zeichnung
der Zeichnungsträger
das Lob der Ungenauigkeit
Verwesentlichung
vom Ursprung der Architektur
Meine „Eroberung“ der Architektenwelt begann in der frühen Schulzeit mit Projektimitationen von zeitgenössischen Architekturikonen, wie Kenzo Tange, Richard Neutra oder Justus Dahinden. Aberich war glücklich und in einem unschuldigen Zustand des Selbststudiums. Und ichzeichnete, besser imitierte Plandarstellungen, baute kleine unbeholfene Modelle, und wünschte mir zu Weihnachten Abonnemente von „Werk“ oder„Casabella“. Mit dem Beginn des ETH Studiums wurde meine idealisierende Annäherung an die Architektur jäh zerstört. Irgendwie war ich nicht mehr naiv genug für die geometrischen Spielchen im Grundkurs, aber auch durch die eigene Vorbildung zu befangen.
Auf jeden Fall blieb ein gewisses Unbehagen mit den Gestaltungstheorien in den Lehrbüchern der Moderne, aber auch die Infragestellung alles Etablierten und die Sinnfrage. Wie andere 68er Studenten schloss ich das Studium mit einer grossen Verunsicherung ab. Und wieder war es in den folgenden Jahren nicht die gebaute, sondern die imaginäre Architektur,die mich in meinen Überzeugungen bestärkte. Dabei war es unvermeidbar, dass Zeitströmungen wie der Postmodernismus von Charles Jencks, die Transavaguardiavon Bonito Oliva, die Tessiner „Tendenze“ mit Aldo Rossi oder die „analogeArchitektur“ eines Miroslav Sik Formenwelten anboten, auf denen aufgebaut werden konnte.
Werkzeuge waren und bleiben für mich Insignien der Handwerklichkeit. Sie haben nichts mit den heutigen «tools» in einem Computerprogramm gemeinsam. Die architektonische Zeichnung verstand ich schon sehr früh als Notenschrift des Architekten. Als Sprache des Entwurfs, aber auch als Bauanleitung des komplexen und aufwändigen Entstehungsprozesses eines Bauwerks. Architektonische Darstellungen leisten vieles. Sie können Inventare, Analysen, Interpretationen eines Bestandes sein, aber auch Visionen, Konzeptuelles oder kritische Lesarten darstellen. Aber es ist vor allem die Bedeutung der Zeichnung als Vehikel des Entwerfens, die mich seit jeher interessiert hat. So lange wir für Menschen bauen, muss dieser Prozess von Menschen regiert werden. Die architektonische Zeichnung ist für mich statisch abbildend und dynamisch prozesshaft zugleich. Als Bild kann sie ästhetische Qualitäten eines Kunstwerks zeigen, als Prozess den Schwung des schöpferischen Werdegangs.
Erst kürzlich habe ich angefangen das Potential unkonventioneller Anwendunggängiger CAD Programme für Farb-und Raumkompositionen zu erkunden, mitgemischtem Erfolg. Als Plotterausdruck oder auf dem Bildschirm wird die Linie durch eine verpixelte Struktur vorgetäuscht. Aber die «analoge» Spur, der klassische Riss entsteht aus physischem Druck und Bewegung, nimmt Material weg oder trägt Farbe auf. Sie hat mehr Bestimmtheit und verrät die gestalterischeEnergie ihres Schöpfers. Dadurch wird sie zur unverkennbaren Signatur und verleiht architektonischen Rissen Ausdruckskraft. Die Zeichnung wird zumProtokoll ihrer Entstehung.
Mit den 16.7 Millionen Farben auf unseren Bildschirmen vergessen wir heute die Bedeutung des Bildträgers in der klassischen Zeichnung. Nicht nur in der Aquarellmalerei, auch bei der Druckgrafik, beim Fresko ist der Bildträger von fundamentaler Bedeutung. Er bringt Helle, Abstufung, Brillanz und in Form von Reflexen auch Dynamik in die Darstellung. Das Licht muss durch die dunkeln Markierungen des Zeichenstifts oder des Pinsels sozusagen durchgeschickte Auslassung hervorgelockt werden. Erst beim Zeichnen wird einem dieses Wechselspiel bewusst. Um Licht darzustellen, muss Dunkel aufgetragenwerden. Aber auch die Struktur des Bildträgers ist unentbehrlich für das Zustandekommen des Bildes. Die Materialität des Untergrundes, Relief, Härte undWiderstand, die Abreibfähigkeit und nicht Pixel bestimmen die Bildstruktur. Das Vergé Papier überträgt die parallele Rippenstruktur des Schöpfsiebs auf die Tonabstufungen. Ein Vélin Papier erlaubt durch seine weiche Faserstruktur sanfte Übergänge in der Zeichnung. Auch der schnell trocknende Kalkputz der Fresko-Malerei verlangt nach einer zügigen virtuosen Handführung und bleibt mit seiner unverkennbaren mineralischen Qualität in der Bildwelt festgehalten.
In der heutigen digitalisierten Berufsweltkönnen nur ein-eindeutige und präzis identifizierbare Dateneinheiten verarbeitetwerden. Der Entwurfsprozess jedoch, von der Ortsanalyse bis zum fertigen Plan, basiert auf persönlichen Interpretationen, selbstentwickelten Methoden, Ambivalenzen und schliesst sogar Irrwege nicht aus. Diese intuitive Suche vermögen nur Handskizzen nachzuvollziehen. Die Planskizzen von Borrominizu Sant Ivo als Beispiel zeigen eine grosse gestalterische Eigenwilligkeit mit Strichüberlagerungen, Massstabssprüngen, verschlüsselten Ikonografien über einem komplexen, aber kristallklar ausgelegten geometrischen Gitternetz. Demzufolge konzentrierten sich meine Studien des römischen Barocks darauf, in der wiederholten Beobachtung der gebauten Wirklichkeit, unterstützt von einer angemessenen Kenntnis der Architekturgeschichte, den hinterlegten Bauplan aufzuschlüsseln.
Ein architektonisches Planwerk verlangte früher hinsichtlich Inhalt und Darstellung einen sorgfältigen und verständlichen Aufbau. Zeichnungen mit verschiedenen Massstäben mussten einzeln von Grund auf aufgebaut werden. Die Grundrisse konnten nur durch Übereinanderzeichnen auf eine neue Planebene übertragen werden. Um bei komplexen Gebäudeanlagen möglichst viele Ebenen simultan sichtbar zu machen, haben wir im Büro hochtransparente Mattfolien verwendet. Waren Baukonzept, Massordnung und Layout einmal festgelegt, entwickelte sich der Entwurfsprozess als fortlaufender Aufbau der Planrisse auf den entsprechenden Folien. Die gültigen Anrisse mit Bleistift wurden nach und nach mit Tuschestrichen bestätigt und nach Strichstärken differenziert, später mit der Beschriftung ergänzt. Dadurch erlangten zweidimensionale Striche eine Tiefenwirkung. Das in den Bleistift-Anrissen gespeicherte Konzept und der stufenweise Aufbau blieben im Plan gespeichert. Alle modernen Gestaltungslehren betonen, wie wichtig die Klarheit der Grundidee, die Aussagekraft der ersten Skizze sein muss, um daraus erfolgreich einen komplexen Entwurf zu entwickeln. Für mich war es immer umgekehrt. AmAnfang stand das Chaos, am Schluss bei positivem Ausgang Gestalt und Prägnanz. Bei Leonardo da Vincis wissenschaftlichen Zeichnungen (zB. in den Codices) habe ich mich immer gefragt, wie weit sie durch Spiegelung sozusagen verschlüsselt und nur an sich selbst gerichtet sind.
Wann hat die Architektur ihren Anfang genommen?Was war zuerst, die Architektur oder die Zeichnung? Sind Tierbehausungen,vorgefundene und besetzte Höhlen bereits Architektur? oder erst die primitiveHütte von Violet-le-Duc, Pfahlbauten, Trullis? oder haben die Akademien die Architektur begründet? Für michhat eine kleine Reliefzeichnung auf einem Megalithen der Tempelanlage vonMnajdra auf Malta eine glaubhafte Antwort gegeben. Das ca. 15cm messendeeingravierte Relief zeigt eine Gebäudefront mit kurvilinearen Formen undAndeutungen von Architraven und Säulen. Sie muss eindeutig alsFassadenzeichnung verstanden werden. Damit wurde für mich klar, dass derUrsprung der Architektur als Baukultur dort zu suchen ist, wo das Bauen ineiner Darstellung reflektiert wurde, also wo die gegenseitige existentielleBedingtheit von Behausung, Mensch und Natur in einem gemeinsamen Lebensraumbildlich verstanden wird. Mit dem Abbild der Wirklichkeit kommt auch derGestaltungswille und das bewusste Formen; Baue werden zu Bauwerken.