6Bauen in sensibler Umgebung

Bau und Umfeld
misplaced?
Hagar Qim und Mnajdra
Mapping

Alle Epochen der Architekturgeschichte haben ihre eigene Kultur im Umgang mit der Natur entwickelt und auch einen zeitspezifischen Umgang mit dem eigenen oder fremden kulturellen Erbe. Wann sind bauliche Eingriffe "am falschen Ort ", "unangebracht", "unpassend", oder ist etwa das "setting" falsch für den richtigen "Film"? Wieso passen gewisse Bauten zum Ort? Wann scheinen sie unverträglich im Bestand oder stören naturnahe Umfelder? Wie definiert sich Unangemessenheit in einem spezifischen Kontext? Gibt es anpassungsfähigere Gestaltungsstrategien? Wann wird Nachbildung des Bestandes zur Anbiederung? Wie können neue Eingriffe das Umfeld stärken? Muss die Identität des Ortes unter allen Umständen gewahrt bleiben, oder beruht sein Weiterbestand auf Wandel und Ablösung?

In der Studie „misplaced ?“ stelle ich auf der einfache würfelförmige bauliche Strukturen wie Implantate in sensible urbane oder ländliche Umgebungen und teste sozusagen deren Verträglichkeit im Kontext. Der Studienansatz ist phänomenologisch und setzt ganz auf die Kraft der bildhaften Darstellungen in der Form von Visualisierungen. Alle Umgebungen sind real und belebt. Die"Implantate" basieren auf 3D-Modellen, welche zum Teil von früheren Studien entlehnt sind. Sie stellen aber reale Nutzungsmöglichkeiten dar. Die geografische Lagebestimmungin Weltkoordinaten soll die zum Teil bekannten und bedeutungsgeladenen Orte anonymisieren.

Der Entwurf für den 2004 gewonnen internationalen Wettbewerb für die Schutzbauten und das Besucherzentrum der zum UNESCO Weltkulturerbe gehörenden Megalithtempel Hagar Qim und Mnajdra auf Maltastellte diese Frage nach adäquaten architektonischen Strategien in hochsensiblen Umgebungen in aller Deutlichkeit. Im Gegensatz zu vielen Konkurrenzprojekten setzte mein Entwurf nicht auf Einpassung in die Umgebung, sondern auf Ambivalenz im Wechselspiel zwischen rationaler Geometrie und organischer Ordnung. Die Schutzbauten aus Stahl und Textilien kontrastieren bewusst mit der mineralischen Qualität und Gravitationsgebundenheit der Megalitharchitektur, reflektieren aber deren kurvilineare, auf Topografie und die astrologischen Achsen ausgerichteten Raumgefüge. Zudem musste im Baubewilligungsverfahren die Gesamthöhe der Einbogenkonstruktionen durch den Einsatz von zwei Bögen wesentlich reduziert werden um die Störwirkung auf die ebenfalls zum Weltnaturerbe gehörende Küstenlandschaft zu minimieren. Die Form und jede Formveränderung der Schutzdächer konnten jedoch nicht einfach aufgezeichnet werden. Die Fusspunkte habe ich im Feld von Hand ausgesteckt. Das Formkonzept war das Resultat von klaren konstruktiven Überlegungen, musste aber in mehreren Durchgängen durch Computerberechnungen immer wieder neu ermittelt und im Windkanal getestet werden. Der formbestimmende Faktor war also das Prinzip der Tensile Structure. Aber erst die Optimierung der Spannungsverläufe in den Membranen und Stahlbögen führten schliesslich zur besten und wahren Form. Das Besucherzentrum, unabdingbar zur Kontrolle und Lenkung der Touristenströme, vermeidet hingegen jede oberflächliche formale Anpassung an die vorhanden Landschaftselemente. Seine auf dem Kubus basierende, abstrakte Geometrie und die vom Meer her kaum sichtbare Lage auf einem bereits bestehenden Parkplatz verleihen ihm eine ordnende und strukturierende Funktion– wie Koordinaten auf der Landkarte – ohne die Landschaft selbst zu verändern.

Spaziert man am Morgen durch französische Parkanlagen, trifft man auf eigenwillig zusammengerückte Gruppierungen von leeren Metallstühlen, aus deren Stellung und Disposition sich die soziale Struktur, oft die Eigenart der Teilnehmenden und die Art des Zusammentreffens herauslesen lässt. Gleiches gilt für archäologische Stätten und historische Stadtanlagen. Was mich vorallem interessiert, ist das in städtebaulichen von Masse und Leerraum formgewordene soziale, ökonomische und kulturelle Abbild einer bestimmten Gesellschaft. Eine weitere Studie (Urban Imprints) setzt sich mit dem Fussabdruck von menschlichen Siedlungen auseinander. Die mehrheitlich aus Google Earth abstrahierten, von Hand in einem CAD-System aufgezeichneten Siedlungsstrukturen zeigen eine erstaunliche selbsterklärende Qualität.

Die Gesellschaftsstruktur und Form des Zusammenlebens, die Stellung und Bedeutung der Kultstätten und Märkte, aber auch das Verhältnis von Bauten und Freiflächennutzung ist in den Ortho-Darstellungen bildhaft ablesbar. Ergänzend weisen eher intuitiv begründete persönliche Transpositionen der historischen Siedlungsstrukturen zu Ansätzen für künftige städtebaulicheKonzepte hin.