9Triviale Einfachheit

neue Bescheidenheit
Wohnstudio und Studiowohnung
Micro-Living
was brauchen wir wirklich
dauerhaft, aber nicht für die Ewigkeit

Die Suche nach einer neuen Bescheidenheit im Bauen, nach einer selbstbestimmten, auf das Wesentliche fokussierten und zeitlich veränderbaren Architektur hat mich in letzter Zeit vermehrt in zahlreichen Studien beschäftigt und auch zum erwähnten Biennale Beitrag geführt.

Mein erster Bau* für ein Künstlerehepaar war durch das Weglassen alles Verzichtbaren, aber mit hohen Ansprüchen an die örtliche Eingliederung, Licht und Raum, ein Manifest des archaischen Bauens. Ganz im Gegensatz zu der damals hochstilisierten Schweizer „Kistenarchitektur“ mit raffiniertem Interieur, allem Wohnkomfort und betont kargem Look, kombiniert dieses Haus auf triviale Art eine ländlich geprägte Lebens- und Arbeitswelt im Zeichen des Handwerks. Neben einem bestehenden barackenartigen Künstleratelier wurde über einem ebenfalls bestehenden Kellergewölbe ein schlichtes Pultdachhaus so angegliedert, dass durch die seitliche Abdrehung und den Höhenversatz eine kleine Hofgruppe um eine Terrasse entstand. In Richtung einer ortsprägenden Kapelle zeigt das Haus eine klassische symmetrische Fassade. Obschon das Holzhaus dauerhaft gebaut und gut isoliert ist, zeigt es einige unerwartete Vereinfachungen bei der Konstruktion, Installation und Raumtrennung: nur Schiebeelemente als Türen, Verzicht auf übliche Fensterbeschläge, keine Lichtschalter, nur geschaltete Steckdosen mit Ketten an der Decke, Kombination von Herd und Holzheizung etc. Ein Fensterband am Giebel des zwei Geschosse hohen Wohnraums taucht den Wohn- Ess- und Aufenthaltsbereich im Obergeschoss in ein fast sakrales Licht.

Das heute verbreitete Interesse an „Tiny Houses“, "micro living" oder Wohn-Arbeitsstudios sehe ich als hoffnungsvolles Zeichen einer neuen Bescheidenheit der jungen Generation. Natürlich ist es auch eine Folge der modernen Mobilität, des Home Workings und der Digitalisierung. Nicht nur die Bundesordner, Kopierer und Archivflächen fallen in unseren Büros weg, auch die Bücherwände, Stereoanlagen und Esszimmer machen in unseren Wohnbereichen dem Grossbildfernseher Platz. Administrative Arbeiten sind nicht mehr an einen fixen Büroplatz gebunden. Aber gerade wenn Siedlungen und Wohncluster nicht über längere Zeit durch die gleichen Personengruppen belegt sind, müssen diese Wohn- und Arbeitssituationen umso sorgfältiger geplant sein. Solidarisch mit Anderen, Räume und Einrichtungen zu nutzen und zu gestalten, ist unabdingbar für ein Lebensgefühl der Zugehörigkeit zu einem Ort und einer Gemeinschaft. Das Zusammenschrauben von Katalogmöbeln muss durch Möglichkeiten echter handwerklicher Selbstverwirklichung in semiprofessionellen Quartierwerkstätten ersetzt werden, das Fassaden- und Balkongrün durch echte Pflanzmöglichkeiten in Gemeinschaftsgärten.

Geblendet von verführerischen futuristischen Visionen für die Lebensräume der Zukunft, scheint die Elite in der Architektur ihre Flucht nach vorne in noch komplexere, scheinbar intelligentere Konstruktionen und Steuerungssysteme fortzusetzen. Dabei wissen wir alle im Grunde genau, dass unser Planet weder die nötigen Ressourcen, noch den nötigen Raum dazu für alle Menschen zur Verfügung stellen kann. Auch bleibt uns nur wenig Zeit, um eine dringend notwendige neue Einfachheit im Bauen zu erforschen und hoffentlich zu verwirklichen. Die schonungslose Einschätzung unserer Lage würde unangenehme Fragen aufwerfen: Wie weit sind wir bereit auf Komfort zu verzichten und wie definieren wir Lebensqualität? Wieviel Bodenfläche und Einrichtungsgegenstände brauchen wir wirklich? Müssen alle Raume einer Wohnung gleich warm beheizt sein? Was können wir in unseren vier Wänden noch selber flicken und anpassen, welche Apparate und Komponenten selber auswechseln? Wieviel echte Gestaltungsfreiheit bietet uns unser Wohn- und Arbeitsumfeld noch? Inwieweit sind wir bereit, uns in vorgegebene multifunktionale Grundrisse, Raum- und Lichtdispositionen einzunisten? Kochen wir wirklich besser in Vorzeigeküchen mit Edelfronten als mit Kochwerkbänken mit austauschbaren Apparaten? Welche Einrichtungsgegenstände sind unabdingbar für unsere Selbstverwirklichung? Wie viel (Unterhaltungs-) Elektronik brauchen wir?

Viele städtebauliche Gesamtplanungen der Moderne sind fehlgeschlagen, weil ein radikaler Arealplan nur in seinem Vollausbau Funktionstüchtigkeit versprach und nicht im kontinuierlichen Wachstumsprozess angepasst werden konnte. Städtebau ist auch ein kollektiver Lern- und Selbstverwirklichungsprozess. Mit dem baulichen Wachstum wandelt sich auch die Identität des Ortes. Unsere historischen Städte und Dörfer sind auch nicht aus einem Wachstumsschub entstanden. Eine bescheidenere Architektur und das Denken in überschaubaren Einheiten könnten dazu beitragen, dass urbane Strukturen und Bewohner voneinander lernend an ihrer Umgebung bauen. 

*Maison Fahrländer 1985 Schweizer Hunziker Architekten